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Was ist obszön?

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Beschreibung

Was ist obszön? Ein Manga über Vulvakunst


Autorin: Rokudenashiko

Originaltitel: What is obscenity? (2016)

Deutsche Übersetzung: Anna Fleiter

Hrsg.: Gerit Sonntag

Umfang: 180 Seiten

Einband: Broschur

Format: 21 x 14,8 x 1,5 cm

Gewicht: 260g

deutsche Erstveröffentlichung: 2022

ISBN: 978-3-949537-06-6


Ist Vulvakunst eine Obszönität?


In Japan ist Vulvakunst nicht gern gesehen. Die Künstlerin Rokudenashiko (japan. für Tunichtgut-Mädchen) wurde zweimal eingesperrt, weil sie in Bezug auf Obszönität gegen das Gesetz verstoßen hat.

Ihr Vergehen: sie hat nach einem 3D-Modell ihrer eigenen Vulva ein Kajak anfertigen lassen und das 3D-Modell gegen Spende im Crowdfunding zur Verfügung gestellt.


In diesem Manga (japan. Comicbuch) erzählt Rokudenashiko ihre Geschichte. Sie ist bekannt für ihre vielfältigen Vulvamodelle, die sie künstlerisch und mit viel Humor in Szene setzt.


Mit Beiträgen über Vulvakunst von Niki de Saint Phalle, Judy Chicago, Grit Scholz, Jasmin Mittag, Rebecca Endler, Aurelia Serena Auerbacher, Antje Heymann, Natalie Friedrich und Vulvaversity.


Rezension von Sören Grenzdörffer auf The incomplete Manga-Guide


Rezension (25.10.2022) von Clara Henning auf den Frauenseiten Bremen.


Hier ein Podcast zu

#21 Göttin Baubo und die lachende Vulva


In dem Film #femalepleasure (2018) und in dem Film Of Love and Law (2017) spielt Rokudenashiko eine Hauptrolle.


Vulvakunst und -aktivismus ist im Trend. Bereits 2016 machte sie international Schlagzeilen: Megumi Igarashi alias Rokudenashiko. Das heißt so viel wie Tunichtgut-Mädchen auf Japanisch. Rokudenashiko ist Mangakünstlerin und will die Vulva von Tabus und Objektifizierung befreien.


Über eine Crowdfunding-Webseite hatte Megumi Igarashi Spenden für ihr neuestes Projekt gesammelt: Ein vulvaförmiges Kayak nach einem 3D-Scan ihrer eigenen Geschlechtsteile. Die gescannten Daten dafür hatte sie an ihre Sponsor*innen geschickt und wurde daraufhin festgenommen. Denn der Scan sei so realistisch, dass er, wenn er ausgedruckt würde, als pornografisches Material genutzt werden könnte. Getan hat dies vermutlich keine der SponsorInnen, denn auch in Japan war das 3D-Drucken damals noch ein teures Verfahren. Doch allein die Möglichkeit schien als Tatbestand zu reichen. Im Mai 2016 wurde Megumi Igarashi zu einer Geldstrafe von 400.000 Yen verurteilt, was in etwa 3.500 Euro entspricht.


In Japan gibt es ein Obszönitätsgesetz, das den Sittenverfall verhindern soll. Der Besitz oder die Verbreitung obszönen Materials ist verboten. Was genau dabei als obszön gilt, ist nicht genauer definiert, ein Streitpunkt, der während des Prozesses immer wieder auftauchte. Ein Kunsthistoriker wurde zur Rate gezogen, um bei der Entscheidung zu helfen, ob Megumi Igarashi Kunst oder Pornografie herstellte. Die Zensur von pornografischem Material in Japan ist zum Teil nur Schein. In Anime und Manga ist fast alles erlaubt, wie beispielweise die explizite Darstellung von sexueller Gewalt oder Kinderpornografie. Lediglich die Genitalien oder Schambehaarung von Erwachsenen müssen ausgepixelt werden.


Deutlich zu sehen ist auch die unterschiedliche Behandlung von männlicher und weiblicher Sexualität. Auf dem jährlichen Kanamara Matsuri, einem Fruchtbarkeitsfest, werden riesige pinke Penisfiguren präsentiert und penisförmige Süßigkeiten genascht. Der mit Männern assoziierte Penis sei „ein Teil der Popkultur“, sagt Megumi Igarashi. Ein Äquivalent mit Vulvafiguren ist undenkbar.


„Ich hatte nie eine andere Vagina gesehen“, verrät Megumi Igarashi auf ihrer Webseite. „Ich wusste nicht, wie eine Vagina aussieht und dachte somit gleich, dass meine nicht normal sei.“ Die Scheide ist in Japan ein Tabuthema. Selbst Ärzt*innen sprechen meist von „dort unten“. Bewusst wählte Megumi Igarashi den Begriff „Deco-Man“ für ihre Vagina-Kunst. Das „Man“ kommt von „Manko“, einem vulgären Ausdruck für Scheide. Der Begriff stößt immer wieder auf Ablehnung. Selbst bei einer Talkshow, zu der sie eingeladen wurde, durfte sie den Begriff „Deco-Man“ nicht benutzen, so streng die Tabuisierung. Mit ihrer bunten Kunst möchte Megumi Igarashi die Vulva normalisieren, denn eine Auseinandersetzung mit ihr in einem nicht sexuellen Kontext findet kaum statt.


Das Verbot wegen Obszönität scheint überflüssig, wenn man sich Igarashis Kunst ansieht. Megumi Igarashis Deco-Man-Kunstwerke erinnern meist nur noch entfernt an tatsächliche Genitalien. Aus Abdrücken ihrer Vulva stellt sie fantasievolle Diaramen her. So tummeln sich kleine Figürchen auf einer Baustelle oder am Flussufer. Andere Kunstobjekte sind glitzernde Handyhüllen, Taschentücher-Spender und Anhänger. Die von ihr erfundene Figur „Manko-chan“, eine Vulva am Mangastil, ist als Kuscheltier, Plastikfigur und als Anstecker erhältlich. Megumi Igarashi bietet auch Workshops an, in denen sie Frauen mit Vagina ermöglicht, sich kreativ mit ihren Geschlechtsteilen zu beschäftigen.


Nicht nur was die Sexualmoral angeht, hängt Japan anderen Ländern etwas hinterher. Die Frauenbewegung des Landes hatte ihren Höhepunkt während des japanischen Wirtschaftswunders in den 1980ern. Seitdem ist sie ein wenig träge geworden. Die Gesellschaft ist nach wie vor von traditionellen Vorstellungen geprägt. Welche Verhaltensweisen und Sprachformen für die Geschlechter als angemessen gelten, unterscheidet sich stark. Auf dem Arbeitsmarkt werden verheiratete Frauen und Mütter benachteiligt. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich aus dem Geschäftsleben zurückziehen. Auch sexuelle Belästigung ist ein großes Problem in japanischen Firmen, das man totzuschweigen versucht. Um einen Wandel herbeizuführen braucht es Frauen wie Megumi Igarashi, die alte Tabus in Frage stellen.


Seit 2016 ist viel passiert: Die Schweizer Filmemacherin Barbara Miller hat Rokudenashiko in ihrem 2019 erschienenen Dokumentarfilm #Female Pleasure neben anderen Frauen, die für selbstbestimmte Sexualität kämpfen, portraitiert. 2022 ist die deutsche Übersetzung ihres Mangas „Was ist obszön? Ein Manga über Vulvakunst“ im unabhängigen Magas Verlag erschienen. Übersetzt hat Anna Fleiter.


Wer ein klassisches Manga erwartet, sei vorgewarnt: Zwischen den Kapiteln sind zusätzliche Texte und Infoboxen eingefügt, die den Lesefluss der Manga-Kapitel unterbrechen. Die deutsche Ausgabe kommt eher als eine Hybridform daher. Neben Igarashis Manga selbst werden Hintergründe zu Igarashis Geschichte erzählt. Verschiedene Autorinnen erklären sprachliche und anatomische Verwirrungen und Tabus. Erwähnt wird auch die lange Tradition des rituellen und Unheil abwehrenden Vulva-Zeigens in Mythen unterschiedlicher Kulturen. Ein Großteil der Zwischenkapitel widmet sich der Geschichte und Gegenwart von Vulven in der Kunst und im politischen Aktivismus des globalen Nordens. Auch die Geschichte des Roboters Osé taucht auf einer Doppelseite auf. Es handelt sich dabei um eine Art Sexspielzeug, das eigens dazu konstruiert wurde, bei Vulven multiple Orgasmen hervorzurufen. Dafür sollte er erst einen großen Tech- und Innovationsaward gewinnen, dann aber doch nicht. Im Einzelnen sind diese Einschübe spannend und anregend, doch lenken sie von der eigentlichen Geschichte des Mangas ab.


Im letzten Teil des Mangas erzählt Rokudenashiko, wie sie zur Vulva-Künstlerin geworden ist. Wir erfahren von ihrer Kindheit als Außenseiterin und ihrer beruflichen Orientierungslosigkeit nach dem Studium. Rokudenashikos Werdegang als Manga-Künstlerin (Mangaka) war geprägt von Rückschlägen und harter Konkurrenz. Als sie sich zu einer Verkleinerung ihrer Vulvalippen entschied – weil ihr diese schon immer etwas groß erschienen – was sie allerdings nicht hinterfragt – nutzte sie dieses Erlebnis als Material für ein Manga.


„[Mich würde] so ein seltsamer Eingriff zu einer ’seltsamen‘ Mangaka machen, was mehr Aufträge bedeutet“ kalkuliert Rokudenashiko vor ihrer Operation. Aus Neugierde machte sie danach einen Gipsabdruck ihrer Vulva und dekorierte ihn: Deco-Man war geboren. „Man“ kommt vom japanischen Wort Manko, was mit „Muschi“ übersetzt werden kann. Mit Deco-Man bekam die Künstlerin zwar mehr Aufträge und Presseanfragen als zuvor, doch löste allein das Wort „Manko“ viele feindliche Reaktionen aus. Auch verlor sie einige private Beziehungen und Freundschaften.


Interessant ist es, wie die Künstlerin geschickt die mediale Aufmerksamkeit nutzt, die ihr und ihrer Vulvakunst im Zuge ihrer Verhaftung und des Gerichtsprozesses zuteilwird: „Man schämt sich in Japan, wenn man verhaftet wird. Deshalb haben mich alle bemitleidet und bedauert. Aber für mich war das irgendwie ’ne tolle Sache. Ich habe mich überhaupt nicht geschämt, ganz im Gegenteil. Für mich hat sich das alles sehr positiv entwickelt.“ Rokudenashikos spöttischer Humor hilft ihr, sich mutig dem patriarchalen Gegenwind entgegenzustellen und die Geschichte der Verhaftung aus ihrer Sicht zu schildern.